Pilot findet zurück ins Zimmererhandwerk
Als Pilot musste Gottfried Schlemmer (47) in der Corona-Lage um seine Existenz bangen. Deshalb fand er seinen Weg zurück ins Zimmererhandwerk. Er erzählt: „Mit dem Holzbau habe ich ein sicheres Standbein – einen Plan B, mit dem ich mich auch in Krisenzeiten über Wasser halten kann.“
Vor rund 27 Jahren schloss Schlemmer seine Zimmerer-Ausbildung ab, begann Bauingenieurwesen zu studieren und entschied sich vor rund 22 Jahren für eine Pilotenkarriere bei Swiss: „Aber da gab es wirtschaftlich gesehen immer viele Auf und Abs“.
Vor kurzem hat er deshalb seine meistergleiche Sachkundeprüfung nach §8 der Handwerksordnung gemacht und darf nun als selbstständiger Zimmerer arbeiten. Nebenbei betreibt er mit seiner Frau einen Bauernhof mit Schafen, Kühen und Hühnern in Altusried (Oberallgäu).
Herr Schlemmer, im März 2020 saßen Sie vorerst für einige Monate das letzte Mal im Cockpit. Was hat sich seitdem getan?
Gottfried Schlemmer: So einen harten Cut habe ich als Pilot bislang noch nie erlebt. Coronabedingt wurden wir in Kurzarbeit geschickt und ich saß auf einmal zuhause. Ich hatte schon gewisse Existenzängste, weil ich eine Familie mit zwei Kindern habe. Von Kollegen anderer Fluggesellschaften hörte ich, dass sie innerhalb von vier Wochen gekündigt wurden. Ich musste mir also was überlegen.
Und dann fiel Ihnen wieder das Zimmererhandwerk ein?
Der Bau hat mich auch während meiner Pilotenzeit immer begleitet. Auf unserem Bauernhof habe ich zum Beispiel unsere Ställe gebaut. Auch nach dem Abi hat mir die Ausbildung viel Spaß gemacht, endlich weg vom Lernen, draußen sein, etwas mit den Händen schaffen. Aber gleichzeitig hat mich das Fliegen fasziniert, in meinem Heimatort Jesenwang gibt es ja einen Flugplatz.
Als Pilot hat man auch ein aufregendes Leben oder?
Auf jeden Fall! Mich hat vor allem das Eintauchen in andere Kulturen begeistert, am liebsten bin ich nach Asien geflogen und finde Indien sehr spannend, weil das Leben dort pures Chaos ist (lacht)!
Wegen der Corona-Lage haben Sie sich aber für ein zweites Standbein entschieden…
Genau, denn Zimmerer haben auch in Krisenzeiten ein sicheres Einkommen. Schließlich sind die Grundbedürfnisse des Menschen „Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf haben“ – und für letzteres ist eben der Zimmerer zuständig.
Vor kurzem haben Sie die Sachkundeprüfung bestanden und dürfen als selbstständiger Zimmerer arbeiten. Hatten Sie Ihr Zimmerer-Wissen – rund 27 Jahre nach Ihrer Gesellenprüfung - schnell wieder parat?
Naja, es hat sich schon viel verändert, vor allem die Planung und der Abbund. Außerdem ist das Aufgabenspektrum des Zimmerers vielfältiger geworden, wie Holzhausbau oder Dachdeckerarbeiten. Auf die theoretische Prüfung habe ich mich rund drei Monate vorbereitet. Um die praktische zu schaffen, habe ich sogar zwei Tage in der Bauinnung München geübt. Aber mir fällt das Lernen nicht schwer, weil ich als Pilot alle drei bis vier Monate einen Check mache, auf den ich mich vorbereiten muss.
Haben Ihre beiden Berufe Pilot und Zimmerer eigentlich Gemeinsamkeiten?
Für mich sind beide Berufe Dienstleistungen am Kunden, sei es das Erlebnis Flug oder die Begeisterung für einen neuen Sichtdachstuhl. Beides weckt Emotionen und es geht darum, gut ausgebildet, freundlich, zuverlässig und termintreu zu sein.
Und neben der Zimmerei und Fliegerei haben Sie noch einen Bauernhof…
Für mich ist das die ideale Kombi. Als Pilot sehe ich Land und Leute, mit der Zimmerei kann ich etwas mit meinen Händen schaffen und zum Ausgleich gehe ich in den Stall und streichle die Kühe (lacht).
Und was haben Sie beruflich noch vor?
Ich werde auf jeden Fall mehr im Holzbau machen. Mal sehen, wie es mit der Fliegerei weitergeht. Vielleicht werden es in Zukunft weniger Flüge? Jedenfalls habe ich mit dem Zimmererhandwerk ein sicheres Standbein – da juckt es mich nicht so, wenn es in der Fliegerei mal wieder kriselt!